Die Jugend, Die Lehre
Die Kollision mit der Macht, wieder mal:
Wir gehen in das Jahr 1982 zurück. Damals war ich leidenschaftlicher Mopedfahrer. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen war es, am Freitag das Moped als Fön zu benutzen, bevor man zur Diskothek ging. Wir waren zu dieser Zeit jung und ausgelassen. Manchmal kam es zu Kollisionen mit den Erwachsenen, aber wer hat das nicht erlebt. Das ist normal im Reifeprozess eines Jugendlichen. Aus irgendeinem Grund gefielen mir die Farben rot und weiß (später wird es rot und blau sein, dazu aber in einem anderen Kapitel. Also begann ich mein Moped umzubauen. Eine Werbung fiel mir von einer Zigarettenmarke auf: „let’s go West“. Diese war natürlich nicht im Osten zu sehen und schon gar nicht in Dresden. Über Beziehungen, die brauchte man damals genau so wie heute, kam ich an zwei Aufkleber heran. Ihr erinnert euch vielleicht, es war ein weiß, rotes Rechteck, oben weiß, unten rot, mit einem roten Hut auf dem weißen Balken. Der Schriftzug in schwarz war in den weißen Balken eingelassen. „LET’S GO WEST“. Was war zu tun. Richtig, der Tank musste in umgedrehter Form lackiert werden. Nun ist das zu jener Zeit nicht so gewesen, dass an einer Ecke ein Laden gestanden hätte mit der Aufschrift „hier lackieren möglich“. Lackierer waren damals gefragte Leute und wieder einmal musste das Beziehungsspiel her halten. In diesem Falle war es der Vater meiner Freundin. Nach etwas Behahrlichkeit hatte ich dann alle Beteiligen soweit. Mein Moped erfuhr eine Rundumkur. Der Tank wurde oben rot und unten weiß lackiert und dann wurden die Aufkleber perfekt auf den Schnitt geklebt. Was kam heraus: Ein sehr schönes Fahrzeug mit einer Botschaft, die 1982 einschlug wie eine Bombe. Ich selbst sah es als Provokation an, wollte ich doch eigentlich gar nicht das Land verlassen. Auf der Straße wurde ich noch nicht angesprochen.
Als ich am darauf folgenden Montag zu meiner Lehre fuhr und das Moped abstellte, begann sofort die Nachricht die Runde zu machen.
15 Minuten später saß ich beim Direktor der Lehranstalt. Der Aufforderung den Aufkleber zu entfernen, kam ich nicht nach. Die Folge waren Beschimpfungen und Drohungen. Die Drohung, dass man Sorge tragen würde, mich meine Ausbildung nicht bestehen zu lassen, konnten die Herren aber im Verlauf der Zeit nicht in die Wirklichkeit umsetzen. Im Gegensatz zu meinem ersten Erlebnis, blieb ich diesmal hart. Es ging mir nicht um die Aufkleber, sondern darum, dass ein jeder Mensch frei sein sollte und eine freie Meinung haben sollte. Der Aufkleber blieb dran und von diesem Tage an hatte ich ganz spezielle Freunde und Beobachter.
Ostermärsche:
Oft entwickelten wir jungen Leute in vielen Diskussionen Visionen, wie eine Weltordnung aussehen sollte, ich war geprägt durch das System und wollte den Spruch „Lets’s go West“ nicht als Aufforderung verstehen, das Land zu verlassen, sondern wir wollten das Land ändern. Noch war ich in dem Glauben, die Zustände ändern zu können. Die Jugend verleiht einem Flügel und auch Einfältigkeit.
Durch meine Tätigkeiten wurde ich näher mit der Szene rund um die Kirche bekannt gemacht. Die Kirche stellte damals eine Anlaufstelle für den aufkeimenden Widerstand dar. In den Veranstaltungen versuchte natürlich auch die Kirche, mich auf die Seite Gottes zu ziehen. Aufgewachsen als Atheist „wie die Schweine im Stall“, nahm ich die Rebellion an, nicht aber den Glauben. Das Thema „Schwerter zu Flugscharen“ griff immer mehr um sich. Die Ostermärsche wurden im Westen Deutschlands immer stärker, im Osten ist sehr wenig passiert. Die Organisation beschränkte sich am Anfang auf Symbole, welche an Autos und allen möglichen Geräte angebracht worden. Zum Beispiel ein Stück weisser Stoff irgendwo angebracht. Keine Aussage und trotzdem wusste jeder, worum es geht. Eine weitere Form war es, sich am Kulturpalast zu treffen, ohne etwas zu tun. Jeden Montag trafen wir uns da. Im Verlaufe des Älter werdens, formierte sich die Aktivität gegen den Staat unmerklich. Man kann nicht sagen, dass wir Widerstandskämpfer waren (viele behaupten das von sich heute), eher rutschte und schlidderte man da hinein. Glaubt mir, als ich später erfuhr, dass für die Menschen Internierungslager geplant waren, ich weiss nicht, ob ich so viel Mut gehabt hätte mit diesem Wissen. Aber zurück zu unseren Ostermärschen. Die Aktivitäten gingen weiter, wir wurden dreister. Bis zu einem Zeitpunkt in Berlin hatte ich noch nicht darüber nachgedacht, das Land zu verlassen, es gipfelte alles in einer Demonstration am Alexanderplatz zu Ostern. Diesmal wurden nun auch Plakate angefertigt. Der Slogan „Weg mit Pirshing und SS20“ ging um die Welt und sollte auch in Ostberlin seine Platz finden. Wir fuhren also nach Berlin und am nächsten Morgen zum Alexanderplatz. Schon bei Aufgang aus der U-Bahn bekam ich ein seltsames Gefühl. Auf dem Platz angekommen, war mir klar, hier stimmt etwas nicht. Verdächtig viele Herren mit immer den selben Anzügen hingen da herum. Noch bevor ich reagieren konnte, stand ein Mann neben mir und forderte mich auf, mitzukommen. Die LKW’s standen um die Ecke alle schon bereit. Noch bevor die Aktion starten konnte, war alles vorbei.